Durststrecke

In der Zeit vom 16.-20. Oktober habe ich zusammen mit Hans Pfister und Tobias Schicker (Vorstandsmitglied das SVS und ehemaliger Praktikant in der JLSS) die beiden Schulen aufgesucht.

Bei herrlichem Herbstwetter werden wir mit dem unverkennbar beschrifteten Kleinbus der Johann Ludwig Schneller Schule (JLSS) am Flughafen abgeholt. Die Schule ist wegen dem islamischen Opferfest (Bayram) die ganze Woche geschlossen. Ausser dem Eingangswächter und dem Koch sind noch zwei junge syrische Männer da. Sie sind als armenische Christen aus Damaskus geflohen und können auf Zusehen hin als pädagogische Leiter von je einer Gruppe Internatsschüler an der Schule arbeiten. Ihre Mutter, die mit der Tochter noch in Damaskus lebt, ist über die Feiertage zu Besuch. Und so bekommen wir hautnah zu spüren, welches Elend der Bürgerkrieg in Syrien ausgelöst hat.

Im Gespräch mit dem Schuldirektor George Haddad erfahren wir, dass die Schule mit den vom Staat immer wieder geforderten Erhöhungen der Lehrergehälter an Privatschulen(!) grosse Mühe hat und kaum mehr weiss, wo Einsparungen gemacht werden könnten. Dank seinen Beziehungen zum entsprechenden Ministerium konnte er einiges zugunsten der Schule erreichen. Die zusätzlich aufgenommenen syrischen Flüchtlingskinder (zwei pro Schulklasse) haben Mühe, dem in Englisch gehaltenen Unterricht zu folgen; Englisch Nachhilfeunterricht ist dringend nötig. Die politische Lage der Region hat zur Folge, dass die Schule zurzeit ohne jegliche Praktikanten, die eine wichtige Entlastung der pädagogischen Leiter und eine Bereicherung und Horizonterweiterung für Schüler und Lehrpersonen waren, auskommen muss. Leider kann auch der SVS nach der neuesten Beurteilung der Verantwortlichen keine Zivildienstleistende in den Libanon schicken, obwohl wir von Anfragen geradezu überschwemmt werden. Für die Schule bedeutet das eine grosse Durststrecke, die sie neben allen anderen Sorgen auch noch durchzuleiden hat.

Wir werden im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten weiterhin unser bestes geben, den Durst über unsere Finanz-Zuschüsse zu lindern.

Nach dem knapp dreitägigen Aufenthalt im Libanon, wo wir ausser einigen Zeltstädten und vermehrten Personenautos mit syrischem Nummernschild wenig vom Flüchtlingselend mitbekommen haben, fliegen wir weiter nach Amman (mit einem fast einstündigen Umweg über Akkaba, wegen dem gesperrten syrischen und israelischen Luftraum).

Viktor, der Leiter des Gästehauses der Theodor Schneller Schule (TSS) holt uns am Flughafen ab und steht uns während unseres Besuches zur Seite.

Im Gespräch mit dem Direktor Ghazi Musharbash erfahren wir, dass auch hier die Lehrergehälter, die erhöht werden sollten, ein Problem darstellen. Manches ist, wegen der vom zuständigen Bischof Suheil in der Diözese Jerusalem geplanten Ablösung des jetzigen Direktors, blockiert. Immerhin hat das Busunternehmen, das seinen Buspark auf dem Gelände der Schule zu mieten vorhat, einen neuen Besitzer gefunden und so stehen doch auch wieder Pachtzinseinnahmen für die Schule in greifbarer Nähe. 
Die jetzige Situation bedeutet auch für diese Schule eine grosse Durststrecke, zumal der deutsche Hilfsverein seine finanzielle Unterstützung auf Grund der Situation neu geregelt und alle Volontäre zurückgezogen hat. Obwohl wir nach der neuesten Beurteilung die Möglichkeit hätten, Zivildienstleistende nach Jordanien zu schicken, müssen auch wir zuwarten, bis der neue Direktor gewählt ist und dann mit ihm ins Gespräch kommen, ob und wo er Zivildienstleistende sinnvoll einsetzen könnte.

Ein Schweizer, der der zurzeit in der TSS auf meine Vermittlung einen Hifsjob bekommen hat, schreibt: «Das Kapital der Schule ist wohl begrenzt. Was Organisatorisches also betrifft, ist es nicht sehr leicht in dieser Schule.

Was mir jedoch sehr gefällt ist die Herzlichkeit untereinander, unter den Schülern ebenso. Es gibt hin und wieder Rangeleien, die es aber in jeder Schule gibt, so auch zu meiner Zeit. Ich arbeite auch einige Stunden im Internat der Schneller- Schule und muss sagen, dass das Leben miteinander sehr friedlich ist und die Schüler genügsam sind mit dem, was sie haben. Trotzdem muss ich als Außenstehender ihnen ganz ehrlich und sagen, und verzeihen sie mir bitte, wenn ich damit unhöflich werde – es könnte besser sein! Zu gleicher Zeit muss ich beschämt zugeben, wie sehr doch die westliche Welt jammert, zu wenig in jedem Bereich zu haben, wenn ich sehe, wie es den Kindern im allgemeinen geht und trotzdem sind sie zufrieden.»

Auch an dieser Schule werden wir uns weiterhin zum Wohle der Kinder wenigstens mit Finanzbeihilfen im Rahmen unserer Möglichkeiten betätigen. Auf diesem Weg leisten wir unsern bescheidenen Beitrag, dass die Friedensbotschaft von Weihnachten, die 100 km südwestlich vom heutigen Amman in Bethlehem vor gut 2000 Jahren ihren Anfang genommen hat, weiterhin im ganz kleinen Umkreis der beiden Schulen zu leuchten vermag.

Ursus Waldmeier, Aarau im Dezember