Yousef Mourad

Im Jahre 1921 wurde Yousef Mourad in Tel Dnoub, einem kleinen Dorf im Bekaa-Tal geboren. Das genaue Datum ist nicht bekannt. Bei der Ankunft im Syrischen Waisenhaus in Jerusalem wird die Sekretärin darum wie immer in solchen Fällen, den 11. November als Geburtstag eintragen, das Gründungsdatum des Syrischen Waisenhauses.

Yousef Mourad

Yousef Mourad

90 Jahre alt ist Yousef dieses Jahr geworden und gerne ist er bereit, Auskunft zu geben über sein Leben und seine Erinnerungen.

Christoph Schmitter, Präsident des Schweizer Vereins für die Schneller-Schulen (SVS) hat die Gelegenheit beim Schopf gepackt, anlässlich seines Besuches an der Johann Ludwig Schneller-Schule (JLSS) Yousef Mourad zu treffen. Mit dabei  ist auch Roland Häusler, der seinen 6-monatigen Einsatz als Zivildienstleistender an der JLSS absolviert. Mit Block, Kugelschreiber und Fotokamera hält er Yousefs spannende Geschichten fest.

Yousef Mourad‘s Vater, ein Druse aus Khirbet Kanafar, ist vor seiner Geburt gestorben. Seine Mutter, eine Christin aus dem Schuf, ist zum Arbeiten in die Bekaa gezogen, wo sie ihren Mann kennengelernt hat. Sie zieht Yousef und seinen Bruder alleine auf. Als die Kinder 3 Jahre alt sind, stirbt auch die Mutter und die Kinder werden von einer Tante aufgenommen.

Auf Vermittlung eines Verwandten werden die beiden Zwillinge schliesslich 1927 am Syrischen Waisenhaus in Jerusalem aufgenommen. Was für eine Reise muss das gewesen sein für einen 6-Jährigen. Mehrere Male kommt er darauf zurück und erzählt, wie er und sein Bruder auf einem Esel von Khirbet Kanafar an die Grenze zu Palästina gebracht wurden, jeder in einer Holzkiste sitzend, links und rechts am Esel festgemacht.

In der Grenzstadt Marj Ayun werden die Kinder von einer befreundeten Familie beherbergt. Am nächsten Tag werden sie in einem alten Ford nach Jerusalem gefahren, wo sie vom Rektor des Waisenhauses, Hermann Schneller, empfangen werden.

Schwer ist es, sich vorzustellen, wie völlig anders diese Welt den beiden Knaben erschienen sein muss. Yousef erzählt voller Rührung, wie sie nun dreimal täglich etwas zu essen bekommen und wie jede Woche die Kleider gewaschen werden. Wir können nur erahnen, wie bitterarm die Verhältnisse gewesen sein müssen, in denen er zuvor aufgewachsen war.

Im Waisenhaus werden Yousef und sein Bruder Deem in Familie 4 eingeteilt, geleitet vom Bruder Gotthelf Stiefel, einem strengen, aber dennoch herzlichen Erzieher aus Deutschland. „Ordnung ist das halbe Leben.“ habe er stets gesagt.

Yousef erzählt vom Leben im Syrischen Waisenhaus, wo zur damaligen Zeit 300 Kinder leben, lernen und arbeiten. Er erzählt von der Schuhmacherei, der Wäscherei mit den grossen Waschmaschinen, der Bäckerei und der  Schweinezucht.

Eine Blindenschule gehört dem Waisenhaus an, die grösste im Nahen Osten. Es werden Körbe, Bürsten und Stuhlbezüge gefertigt, die in der Jerusalemer Altstadt verkauft werden.

1930, drei Jahre nach ihrer Ankunft, steht ein neuer Wechsel an. Die Mourad-Kinder werden von Rektor Hermann Schneller persönlich zum Galiläischen Waisenhaus nach Nazareth gebracht. Dieses ist damals mit 36 untergebrachten Kindern viel kleiner und wird von Pastor Schaaf geleitet. Er kümmert sich liebevoll um die Kleinen und hat einen Spitznamen für jedes einzelne. Es sind die schönsten Jahre in Yousefs Leben.

Yousef Mourad und Christoph Schmitter

Yousef Mourad und Christoph Schmitter

Er erinnert sich an die strenge Köchin und ihren Mann, einen Veteranen aus dem 1. Weltkrieg. Sehr sparsam sei sie gewesen, die Köchin, und der gute Pastor Schaaf musste sie manches Mal bitten, doch etwas mehr Essen einzukaufen.

Nach drei Jahren kehren Yousef und sein Bruder nach Jerusalem zurück, wo sie ihre Ausbildung abschliessen und anfangen, im Syrischen Waisenhaus zu arbeiten.

Es folgen turbulente Jahre. Im 2. Weltkrieg wird das Syrische Waisenhaus von den britischen Mandatsbehörden übernommen, alle Kinder müssen umziehen nach Nazareth. Yousef bleibt zurück und arbeitet im Büro der britischen Administration. Er sagt, die Engländer hätten sich immer anständig und korrekt verhalten, obwohl sie wussten, dass das Waisenhaus eine vornehmlich deutsche Institution war.

Angesprochen auf die Nazi-Zeit, betont Yousef, dass man am Syrischen Waisenhaus stets einen freundlichen Umgang mit den Juden gepflegt habe und dass man an der Schule nicht viel von den Nazis hielt, Dummköpfe seien das gewesen.

In die Zeit während und nach dem Krieg fällt auch die Geschichte von Carl Lutz

, 1935 – 1940 Schweizer Konsul in Palästina. Da die deutschen Unterstützungs-Organisationen in ihren Handlungsspielräumen eingeschränkt sind, übernimmt das Schweizer Hilfskomitee wichtige Aufgaben, wie beispielsweise den Transfer von Geld, das zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig ist. Herr Lutz ist der Mann vor Ort, er unterhält Beziehungen zu den Briten und den Amerikanern.

Yousef erklärt uns, dass Lutz während dem Krieg die Finanzen des Syrischen Waisenhauses geleitet hat und auch verantwortlich dafür ist, dass später Kirchenbänke, das Altarbild, die Orgel und die Kirchenglocken der Kirche des Waisenhauses vor Raub und Zerstörung gerettet werden.

Nach der Gründung Israels ist es ebenfalls Lutz, der mit der israelischen Regierung eine Entschädigung für den Schweizer Anteil an den mittlerweile enteigneten Besitztümern des Syrischen Waisenhauses aushandelt. Dieses Geld aus der Entschädigung ist es, mit dem später in Khirbet Kanafar das Land gekauft und die Gebäude gebaut werden können, für die neue Johann Ludwig Schneller-Schule.

Die Zeiten nach 1948 sind hart. Yousef geht nach Tripoli, im Norden des Libanon, wo er für die Iraqi Petroleum Company arbeitet. Eines Tages wird er von Hermann Schneller besucht, der ihn bittet, an der eben neu gegründeten Johann Ludwig Schneller-Schule als Verwaltungsvorsteher zu arbeiten. Yousef sagt zu und so ziehen er und seine Frau nach Khirbet Kanafar, wo auch der Zwillingsbruder schon eingetroffen ist und in der Schreinerei der JLSS arbeitet.

Das Versteck im Klavier

Das Versteck im Klavier

Es folgen die Jahre des Neuaufbaus und später des Bürgerkrieges. Yousef bleibt stets an der Schule. Einmal seien sie von Syrern überfallen worden, die mitbekommen hätten, dass am Tag zuvor das Lohngeld eingetroffen sei. Sie fesseln Yousef und seine Frau und versuchen herauszukriegen, wo das Geld ist. Yousef gibt ihnen schliesslich Geld, aber es ist nicht das Lohngeld, welches im Tresor im Büro aufbewahrt ist, sondern sein eigenes. Er nimmt es aus dem Klavier, in dem er es versteckt hat, und gibt es den Räubern. Es ist das Klavier, welches während unseres Gesprächs im Raum steht. Yousef steht auf und zeigt uns die Stelle.

1987 schliesslich gibt Yousef die Stelle auf und geht in den Ruhestand. Regelmässig aber kommt er noch nach Khirbet Kanafar zum Besuch von Freunden. Und immer wieder wird er gebeten seine Geschichte erzählen, als einer der letzten Zeitzeugen, die einst im Syrischen Waisenhaus in Jerusalem gelebt haben.

Das Porträt über Yousef können Sie auch als PDF herunterladen: Ein Gespräch mit Yousef